Der internationale Tag der Pflege am 12. Mai soll Wertschätzung und Bewusstsein für die Pflegeberufe schaffen. Wie sieht die Situation im Kreis Freudenstadt aus? „Insgesamt stehen wir noch gut da“ fasst Renate Merkl, Pflegedirektorin der Krankenhäuser Landkreis Freudenstadt gGmbH (KLF) die Situation im Kreis zusammen. Doch der Druck wächst. Die dringendsten Lösungen bräuchte es weniger im fachlichen Bereich, sondern an Stellen, an denen auch andere Branchen schon lange kämpfen: Nachwuchsgewinnung und Mitarbeiterbindung in der Region.
„Die Mitarbeiter sind nach den letzten zwei Jahren freilich erschöpft“, sagt Renate Merkl. „Sie waren ja nicht nur beruflich, sondern auch privat von Corona betroffen.“ Entsprechend enttäuscht seien die Pflegekräfte, dass die Euphorie aus der Pandemie und die schönen Worte aus der Politik folgenlos verpufft scheinen. „Unsere Mitarbeiter hatten vor allem gehofft, dass sich die zeitlichen Rahmenbedingungen verbessern“, erklärt Renate Merkl. Denn die Abrechnung von Pflegeleistungen erfolgt über den sogenannten Fallpauschalen-Katalog. Individuellen pflegerischen Anforderungen oder zusätzlichen Unterstützungsleistungen, die manche Patienten benötigen, wird dieses Abrechnungssystem jedoch nicht gerecht. Angesichts steigender Begleiterkrankungen wie Demenz oder die fortschreitende Überalterung der Bevölkerung wird dies immer mehr zur Herausforderung. „Die personenbezogene Hilfe am Menschen ist eine Grundmotivation für den Beruf“, sagt Merkl. „Zu viel Effizienzstreben bei den Vorgaben kann jedoch ins Unmenschliche gehen. Das belastet die Pflegekräfte.“
Bieterwettbewerb am Arbeitsmarkt
Hinzu kommt, dass der Arbeitsmarkt leergefegt ist. Dort gibt es ein weiteres Problem: Entgegen anderen Branchen ist das Geschäft der Arbeitnehmer-Überlassung im Bereich der Pflege auch für die Fachkräfte selbst sehr lohnend. „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Zeit müssen zwar viel flexibler sein und sind immer nur kurze Zeit an einem Ort, aber sie verdienen in der Zeit mehr“, erklärt Merkl. In bestimmten Lebenssituationen überlegten so viele Fachkräfte, für einige Jahre in die Zeitarbeit zu gehen, um kurzfristig etwas mehr zu verdienen. „Branchenverbände weisen in diesem Zusammenhang bereits seit Jahren auf die unattraktive Vergütung hin“, ergänzt die Pflegedirektorin.
Durch Ausbildung und Kooperation gegen Fachkräftemangel
Mit Ausbildung und Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland versucht die KLF seit längerem, dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. Mit dem Oberlinhaus besteht eine gemeinsame Pflegeschule. In dieser wird die generalistische Ausbildung zur Pflegefachkraft angeboten welche Alten-, Gesundheits- und Kranken- und Kinderkrankenpflege zusammenfasst. Durch die Kooperation erhöht sich nicht nur der Pool an Nachwuchs-Fachkräften, den Absolventen steht auch international eine größere Bandbreite an Wirkungsfeldern zur Verfügung. „Der Pflegeberuf ist abwechslungsreich und bietet vielseitige Zukunftsaussichten. Das wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken“, prognostiziert Renate Merkl.
Die dringendsten Lösungsansätze braucht es auf regionaler Ebene
Ein weiteres Standbein in der Fachkräftesicherung ist die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland. Doch bei allem Engagement treten immer wieder dieselben Herausforderungen auf: Oft fehlt es an Wohnraum in der Region, die ÖPNV-Anbindung ist unzureichend und vor allem Mitarbeiter aus dem Ausland tun sich schwer, dauerhaft Fuß zu fassen. „Es kommt vor, dass wir Mitarbeiter ausbilden oder den Einwanderungs- und Anerkennungsprozess durchlaufen und die Leute dann in Ballungsräume abwandern“, beschreibt Renate Merkl.
Sowohl KLF-Geschäftsführer Matthias Meier als auch Pflegedirektorin Renate Merkl wissen, was es bräuchte, um die Situation zu verbessern: Mitarbeiter benötigen schon in der Startphase erschwingliche Wohnungen, die auch die Unterbringung einer Familie ermöglichen. Die Verkehrsanbindung im Kreis muss noch weiter ausgebaut werden, sodass der ÖPNV auch im Schichtdienst genutzt werden kann. Mitarbeiter aus dem Ausland brauchen Hilfe, um in der Region Fuß zu fassen und nicht im kleinen Kosmos der Arbeitswelt zu vereinsamen. „All das sind keine Probleme, die nur die KLF betreffen“, betont Geschäftsführer Matthias Meier. „Viele Branchen und Firmen in der Region kämpfen mit den gleichen Herausforderungen.“
Sinnhaftigkeit als Motivation in schwierigen Zeiten
„Bislang können wir die Anforderungen insgesamt bewältigen“, fasst Renate Merkl die Situation an den Standorten Freudenstadt und Horb zusammen. „Krankheit und Abwanderung können aber immer wieder zu Engpässen führen. Dann müssten Betten vorrübergehend unbelegt bleiben“. Trotz Herausforderungen möchte die Pflegedirektorin nicht in Pessimismus verfallen. Die engagierten Mitarbeiter und die immense Arbeit, welche sie täglich interdisziplinär leisten, lassen die Pflegedirektorin dankbar und optimistisch bleiben. Für sie wie auch für die Mitarbeiter ist der Beruf mehr als nur ein Job. „Sinnhaftigkeit“, fasst Merkl die Motivation zusammen. Eine Gesundheits- und Krankenpflegerin am Klinikum Freudenstadt erklärt: „Der Beruf prägt nicht nur professionell, er prägt auch mich als Person.“ Eine andere ergänzt: „Durch unser Handeln helfen wir Menschen maßgeblich bei der Genesung – es geht ihnen dank uns wieder besser. Das macht den Beruf besonders.“